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Simon Gietl im Interview

RISIKO, GEFAHREN & SICHERHEIT AM BERG

EIN AUSNAHMEATHLET IM INTERVIEW

01.09.2018
Interview mit: Simon Gietl
Südtiroler Alpinist, Bergführer und SALEWA Athlet
Für den 33-jährigen Bergführer und Alpinisten Simon Gietl sind seit seiner Kindheit die schönsten Gipfel zum Greifen nahe. Zum Klettern jedoch kommt er rein zufällig, als er mit 18 Jahren zwischen Toblach und Bruneck per Anhalter unterwegs ist und von einem Bergsteiger mitgenommen wird. Seit diesem Tag setzt sich der Südtiroler immer wieder neue Ziele und stößt auch an seine Grenzen. Jedes Jahr stehen ein bis zwei größere Expeditionen auf seiner persönlichen Wunschliste. Das Risiko reist mit, wenn der Vater von zwei Kindern sich seinen Zielen nähert. Im Interview erklärt er uns, wie er sich bestmöglich absichert, wem er vertraut und wie risikobereit er selbst ist.
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WIE DEFINIERST DU „RISIKO AM BERG“?

SIMON GIETL: Die Natur ist jene Gewalt, die das Risiko zu einem wesentlichen Anteil bestimmt. Wetter, Lawinen und brüchiges Gestein sind mit Abstand die Hauptbestandteile, wenn ich den Aspekt des Risikos beschreiben sollte. Zuletzt spüren durfte ich das gemeinsam mit Vittorio Messini bei unserem North3-Projekt.
Ziel war es, 3 Nordwände und die Distanzen dazwischen by fair means zu meistern.
7.300 Höhenmeter und 363 Kilometer – kletternd, zu Fuß und mit dem Rennrad. Das Wetter hat absolut nicht mitgespielt: Regen, Schnee und Kälte haben uns überrascht.


MUSSTET IHR DAS PROJEKT DADURCH FRÜHZEITIG ABBRECHEN?

Nein, das nicht. Allerdings hat es zum Beispiel in der Ortler-Nordwand stark geschneit und es sind immer wieder kleine Lawinen abgegangen. Wir warteten zunächst ab und hatten einfach Glück, dass es aufhörte zu schneien. Wir entschieden uns dann, das Projekt nicht abzubrechen und weiterzumachen.


WELCHEN EINFLUSS HAT EIN KLETTERER SELBST AUF SEIN RISIKO?

Absicherung, Ausrüstung und körperliche Fitness können wir als Kletterer selbst bestimmen und entscheidend beeinflussen. Dabei sollte sich jeder der Verantwortung, die er gegenüber anderen und sich selbst trägt, bewusst sein. Was bleibt ist die Facette der objektiven Gefahren am Berg. Deswegen sollte man sich mit diesen zahlreichen Gefahren stets auseinandersetzen und sie nie unterschätzen.


WAS HILFT DIR DABEI, DAS RISIKO BEI GEPLANTEN TOUREN EINZUSCHÄTZEN ODER ZU BEWERTEN?

Nachdenken, überlegen und auch auf das Bauchgefühl hören, sind entscheidende Faktoren bei der Risikoeinschätzung. Das Einholen von Informationen bezüglich Wetter und Gefahrenquellen ist dabei ein grundlegender Bestandteil.
Erfahrung und die Fähigkeit der schnellen Entscheidungsfindung sind zusätzlich wichtige Faktoren meines Risiko-Managements.
Je mehr man unterwegs ist, desto mehr Erfahrungen darf man einstecken. Bestenfalls wertet man sie aus und lässt die Erkenntnis in das nächste Projekt einfließen. In der Ortler-Nordwand entschieden wir, trotz kleiner Lawinenabgänge, weiter zu klettern. Das war wohl überlegt. 
© Salewa © Salewa © Salewa


WANN IST DIR DAS RISIKO ZU HOCH?

Das Risiko wird demnach zu groß, wenn du diesen Aspekt der objektiven Gefahren nicht annähernd einschätzen kannst. Dabei spielt bei mir nicht nur das rationale Entscheidungsempfinden eine große Rolle, sondern ich kann oft auch meinem Bauchgefühl vertrauen. Vittorio und ich hätten uns in der Ortler-Nordwand bei anhaltendem Schneefall für einen Abbruch des North3-Projekts entschieden. Hätte es nicht aufgehört zu schneien, wäre uns das Risiko zu hoch gewesen.


IM BERGSPORT LÄSST SICH DAS RISIKO NIEMALS GANZ AUSSCHLIESSEN – INSBESONDERE, WENN ES IN DEN BEREICH DER SPITZENLEISTUNGEN GEHT. 
WARST DU EINMAL IN EINER SITUATION WO DU – RÜCKBLICKEND BETRACHTET – DAS RISIKO OHNE GROSSEN NACHTEIL REDUZIEREN HÄTTEST KÖNNEN UND WIE?

Insbesondere in der ersten Phase des Alpinkletterns konnte ich das eigentliche Risiko, dem ich mich ausgesetzt hatte, nicht richtig einschätzen. Der Leichtsinn, das Unterschätzen der alpinen Umgebung und das ständige Klettern am persönlichen Limit waren Gründe dafür, dass ich mich in den ersten Jahren nicht selten in prekäre Situationen manövrierte. In dieser Zeit hätte ich mit der richtigen Vorbereitung vieles verhindern können. Vom Lesen des Wetterberichtes bis hin zum richtigen Einschätzen der eigenen Möglichkeiten hätte ich einiges besser machen können. Das Überschätzen der eigenen Fähigkeiten und das Unterschätzen der objektiven Gefahrenquellen waren überaus typisch für meine Anfangszeit.


DU BIST JA OFT MIT ANDEREN BERGSPORTLERN IN HALLEN UND AM FELS UNTERWEGS. WENN DU ANDEREN ZUSCHAUST – WO LIEGT DEINER MEINUNG NACH POTENZIAL IN DER MINIMIERUNG DER RISIKEN BEIM BERGSPORT?

In erster Linie muss der zwingende Partnercheck betont werden. Damit würden sich viele schlimme Unfälle verhindern lassen. Da bin ich sicher. Die richtige Tourenwahl, die jeweils dem Wetter und den eigenen Möglichkeiten angepasst sein sollte, und die passende Ausrüstung können das Risiko schon um vieles minimieren.


WELCHEN RAT – IN BEZUG AUF SICHERHEIT – WÜRDEST DU EINEM KLETTEREINSTEIGER ODER HOCHTOUREN-ASPIRANTEN MIT AUF DEN WEG GEBEN?

Das Besuchen eines Kletterkurses sollte gegenwärtig bereits Standard sein. Ein Felskurs und später ein umfangreicher Alpinlehrgang runden die persönliche Vorbereitung ab. 
Ansonsten mein persönlicher Tipp: Einfach viel klettern gehen!
Dabei natürlich immer dem eigenen Niveau angepasst agieren. Es ist wichtig, sich und seine Seilpartner realistisch einzuschätzen.
© Salewa © Salewa © Salewa


WAS GIBT DIR SICHERHEIT BEIM KLETTERN?

Das notwendige Training zur Stärkung der körperlichen und mentalen Kraft ist grundlegend. Dazu kommt natürlich ein gewisser Grad an Erfahrung, den ich mir in den letzten Jahren im Gebirge aneignen konnte. Die Mischung dieser Komponenten ergibt die unmittelbare Form, mit der ich in alpiner Umgebung eine möglichst sichere Performance abliefern kann. Wie bereits vorher betont, muss man sich ständig der objektiven Gefahren bewusst sein.


DIE SICHERHEITSSTANDARDS IM HINBLICK AUF DIE AUSRÜSTUNG SIND HEUTE SEHR HOCH – GIBT ES NOCH LÜCKEN, DIE GESCHLOSSEN WERDEN SOLLTEN?

Ich denke die Standards sind wirklich lobenswert und werden auch umgesetzt. Dank meiner Sponsoren bin ich in die Produktentwicklung involviert. Meine Partnerschaft mit SALEWA bedeutet ständigen Austausch – es ist großartig, Einfluss auf die nächste Generation von Bergsportausrüstung zu haben.


AUFGRUND DER HEUTE VERFÜGBAREN AUSRÜSTUNG STEIGT DAS NIVEAU BEIM BERGSTEIGEN UND KLETTERN. WO LIEGEN FÜR DICH DIE GRENZEN DES MACHBAREN

So abgelutscht es klingt, aber Grenzen waren stets und werden auch immer dazu da sein, um verschoben zu werden. Es wird auch in 20 Jahren Ausrüstungsgegenstände geben, an die man heute noch gar nicht denkt. Vielleicht sogar eine Art von E-Climbing …


SPRICHST DU MIT DEINEN SEILPARTNERN ÜBER DAS THEMA RISIKO UND GEFAHREN?

Die Themen wie Risiko und Angst sollten immer thematisiert werden dürfen. Daraus ergeben sich viele lehrreiche Gespräche. Ein gewisser Erfahrungsaustausch hinsichtlich dieses Themas sollte nie zu kurz kommen.


WIE RISIKOFREUDIG SCHÄTZT DU DICH EIN?

Sehr schwierige Frage. Dazu müsst ihr bitte meine Seilpartner fragen. 
 

Kategorie:     ALPINMESSE

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Fotos © Salewa/ Storyteller-Labs, Simon Rainer, Anna-Maria Walli / Bergrettung Österreich, Christophorus Flugrettungsverein, Ortovox