
KEIN SEIL IST AUCH KEINE LÖSUNG
20.07.2018
Tiroler Bergsportführerverband
Autor: Stefan Wierer, Bergführer und Vizepräsident
Fast so alt wie der Bergsport in seiner extremsten Form und der damit verbundene Seilgebrauch sind auch die Unfälle durch Mitreißen. Der aus den frühen Alpinismustagen bekannteste Mitreißunfall von vor 150 Jahren ist als die „Matterhorntragödie“ in die Geschichte eingegangen. Als Bergführer, der seinen besten Freund und Berufskollegen durch eine solch schicksalhafte Seilverbindung verloren hat, ist es mir ein Bedürfnis, grundsätzliche Überlegungen zum Seilgebrauch anzustellen.

BREMSVERSUCHE?
Die Anzahl der Gäste, das Gewicht und das sehr kurze Seil sowie das mäßig geneigte Gelände waren ausschlaggebend dafür, dass wir diese lebensbedrohenden Situationen heil überstanden haben.
Die Wucht und die, je nach Steilheit, enorme Beschleunigung lassen selbst dem Profi kaum Zeit für „überlegtes Handeln“. Denn eine rutschende Person erreicht im 45° geneigten, harten Firnfeld nach bereits 10 Metern etwa 80 % der freien Fallgeschwindigkeit. In der Regel ist der Gast durch die Schrecksituation nicht in der Lage zu reagieren bzw. zu bremsen. Mein persönlicher Glücksfall bei diesen Ereignissen war die Beschaffenheit des Geländes: Abflachung vor der Absturzkante und weicherer Schnee machten das Bremsen möglich.DANN HALT OHNE SEIL
WAS IST DAHER BEI SEILSCHAFTEN BESONDERS ZU BEACHTEN?
- das Eigenkönnen (Der Schwierigkeitsgrad der Tour muss leicht bewältigbar sein, das Hauptaugenmerk liegt auf der Seilsicherung.)
- vorherrschende Verhältnisse (Steilheit des Geländes, Firn, Eis)
- das Können des Seilpartners
Außerdem sollte jedem klar sein, dass das gemeinsame Gehen im sehr steilen bis extrem steilen Gelände die Königsdisziplin an Vorsicht und Überlegungen im hochalpinen Bereich darstellt.
DOPPELTE GEFAHR BEI DOPPELTER GRUPPENGRÖSSE?
WELCHE ÜBERLEGUNGEN STEHEN DESHALB AN?
Nehmen wir als Beispiel den Gletscheranstieg am Großen Löffler. Der Aufstieg ist durch den Gletscherrückgang vor allem am Übergang zum Blockgelände im Gipfelbereich steiler geworden. Zudem ist im Hochsommer in dieser Höhe kaum noch Firn vorhanden, das blanke Gletschereis tritt hervor. Was also in früheren Jahren noch über eine Firnspur gut zu begehen war, ist jetzt zu sichern. Es ist daher wichtig, sich mit den aktuellen Gegebenheiten zu befassen und sich darauf einzustellen.
SEILFÜHRUNG ALS SICHERHEITSGEWINN
- Die Seilschaft muss am Gletschereis klein (2 - 3 Personen) ausfallen.
- Je nach Verhältnissen („glattes“ Gletschereis) muss auch bei Eisanstiegen gesichert werden, wobei hier der Abstieg in der Seilschaft die wesentlich größere Herausforderung darstellt.
- Im Felsbereich hängt das gemeinsame Steigen am Seil vor allem vom Können des Seilpartners und den Gegebenheiten ab.
- Am Felsgrat sollte der Seilverlauf wechseln.
- Ist seilschaftsmäßiges Sichern an Graten notwendig, sollte es jedoch im leichten Gelände die Ausnahme bleiben.
„Speedbegehungen“ in Seilschaft ohne oder mit nur hastig durchgeführtem Sichern (ohne Selbstsicherung) sind auch bei demselben Wissensstand verwerflich und gefährden alle Betroffenen in höchstem Maße – und das für fragwürdige Rekorde.
DER TOTE MANN ALS ANKERPUNKT
Wird das Gelände zu steil, gibt es die Sicherungmöglichkeit mit dem Steckpickel (seine Haltbarkeit ist dem Leser bekannt - bei aufgeweichtem Firn kommt die Sicherungsmethode Steckpickel schnell an ihre Grenzen und die Haltbarkeit leidet). Als weitaus sicherer gilt der „Tote Mann“ als Ankerpunkt. Bei beiden Methoden ist natürlich vor allem die Schneesituation ausschlaggebend, wobei bei Firnbegehungen generell die Gesamtbewertung der Verhältnisse DIE Sicherheitsüberlegung darstellt.
Eine kompakte, gut abgestrahlte Firnoberfläche ist das A und O einer Firntour.
Ein Ausschlussgrund für geplante Firntouren ist, wenn die Null Grad Grenze auf über 3.000 m steigt und der Himmel bedeckt ist.
TIPPS „GEMEINSAM AM SEIL“ AUF EINEM BLICK
Sehr steile bis extrem steile Gletscher (über 35 Grad bzw. über 40 Grad)
- Seilschaftgröße reduzieren, max. eine Dreierseilschaft bilden
- Sicherung über eine 21 cm Eisschraube
Sehr steiler bis extrem steiler Firn
- Zweierseilschaft
- sehr gut festgetretene Spuranlage
- Führender: Seil zwischen den Beinen
Klettern - Gratbegehungen
- gemeinsames Gehen (Seiltransport) nur in Bereichen, wo kein Absturz erfolgen kann = am breiten Gratrücken
- Gelände max. II Grad
Die häufigsten Fehler bei Seilschaften
- zu große Seilschaften
- inhomogenes Können in den Seilschaften
- Unterschätzung der Steilheit in Bezug auf die Beschleunigung beim Absturz
Auf viele schöne Bergerlebnisse am gemeinsamen Seil
Wierer Stefan, Bergführer
Kategorie: ALPINE ZAHLEN

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