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Hans Braxmeier_Bouldern

BOULDERN ALS MASSNAHME GEGEN DEPRESSION

20.03.2020
Autor: Sabrina Stadler, MSc. Sportwissenschaft - Bewegung und Gesundheit
Laut WHO sind weltweit mehr als 264 Millionen Menschen von Depression betroffen. In Europa erleidet etwa jede vierte Person mindestens eine psychische Krankheitsepisode im Laufe ihres Lebens. Obwohl es sehr viele Menschen betrifft, reden die wenigsten darüber. Auch ist die Unwissenheit über die Erkrankung groß.

Die Sportwissenschafterin Sabrina Stadler war Mitarbeiterin der Therapiestudie "Klettern und Stimmung" an der UNI Erlangen. Dabei wurde herausgefunden, dass eine  Bouldertherapie wissenschaftlich signifikant bessere Ergebnisse in der Behandlung von Depressionen erzielt, als die klassische kognitive Gesprächstherapie. Jetzt möchte Sabrina Stadler das Therapiekonzept auf weitere Bergsportarten erweitern. Kurse wie "Bouldern gegen Depression" bietet sie freiberuflich an.
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DEPRESSION: ZAHLEN - DATEN - FAKTEN

Depressionen? – Ach was, man muss sich nur mal ein bisschen am Riemen reißen. Mehr an das Positive denken, uns
geht's doch eh allen so gut. Dann wird das schon wieder.“
So oder so ähnlich lauten viele Aussagen, mit denen Depressionskranke konfrontiert werden. So ist es kein Wunder, dass dieses Thema noch immer tabuisiert wird, sich Betroffene erst gar nicht trauen, darüber zu sprechen oder Hilfe in Anspruch zu nehmen. Laut einer aktuellen Umfrage der deutschen Sporthilfe leiden knapp 10% der Spitzensportler unter Depressionen und rund 40% haben sich bei dieser Frage enthalten.
Das spiegelt die Prävalenz beim Rest der Bevölkerung wider und beschert depressiven Erkrankungen den dritten Platz bei den Ursachen für Arbeitsunfähigkeit.
Laut Statistischem Bundesamt starben in den letzten Jahren mehr Menschen durch Suizid, als durch
Drogen, Verkehrsunfälle und HIV zusammen.
Wie groß die Unwissenheit über die Erkrankung ist, zeigt unter anderem eine Studie der Deutschen Depressionshilfe „Deutschland-Barometer Depression“. Demnach glaubt jeder Dritte, dass Depressionen aus einer Charakterschwäche hervorgehen und jeder Fünfte denkt, dass die Krankheit mit Schokolade zu heilen ist. Dabei geben aber auch 30% der Befragten an, dass sie sich nicht gut informiert fühlen über Depressionen und rund 40% berichten, dass bei einem Bekannten oder Angehörigen schon einmal eine Depressionsdiagnose gestellt wurde.
Pixabay Pixabay Pixabay

URSACHEN

Soviel zum Auftreten von Depressionen, aber wo kommt's denn her?
Forscher sprechen zwar von psychosozialen Auslösern, aber mit neurobiologischer Ursache. Das bedeutet, dass sehr wohl zum Beispiel Stress oder traumatische Erlebnisse eine Depression auslösen können, aber physiologische Abläufe im Körper und im Gehirn letzten Endes dafür verantwortlich sind. Bei der Therapie müssen selbstverständlich beide Aspekte beachtet werden. Doch um das Krankheitsbild zu verstehen, schauen wir uns erst einmal diesen physiologischen Ablauf an.

Die verschiedenen Bereiche in unserem Körper kommunizieren über bestimmte Botenstoffe. Nach derzeitigem Stand der Erkenntnis entstehen Depressionen durch einen Mangel oder durch ein Ungleichgewicht dieser Überträgerstoffe im Gehirn, zum Beispiel Serotonin oder Dopamin. Doch auch andere körperliche Krankheiten können Depressionen verursachen, wie zum Beispiel eine Schilddrüsenfehlfunktion, Tumore oder auch Vitaminmangelerscheinungen. Daher ist es immer wichtig, die Patienten ganzheitlich zu betrachten.

Die Symptome können vielfältig sein: von Abgeschlagenheit und Schlaf-, Ess- und Konzentrationsstörungen bis hin zu suizidalen Gedanken macht sich die Depression auf verschiedenen Ebenen bemerkbar. Bei vielen Patienten treten zusätzlich körperliche Symptome wie starkes Schwitzen, Schwindel oder Taubheitsgefühle auf.

THERAPIE

Nachdem uns nun allen klar sein sollte, dass eine Depressionserkrankung weder mit Schokolade, noch mit „sich zusammenreißen“ zu heilen ist, betrachten wir im nächsten Abschnitt geeignete therapeutische Maßnahmen.
Der erste Schritt sollte obligatorischer Weise immer der Arztbesuch sein. Dieser behandelnde Arzt leitet in Absprache mit dem Patienten die Therapie ein. Eben wie bei jeder anderen Erkrankung auch.
Zusätzlich kann der oder die Betroffene eigenständig begleitende Maßnahmen einleiten.
Und jetzt kommen wir zum, wie ich finde, spannendsten Teil der ganzen Angelegenheit.
Forscher des Uniklinikums Erlangen fanden in einer Multicenter Studie namens „Klettern und Stimmung“ heraus, dass eine Bouldertherapie wissenschaftlich signifikant bessere Ergebnisse in der Behandlung von Depressionen erzielt, als die
klassische kognitive Gesprächstherapie.
Ja richtig gelesen, Bouldern wie das Klettern auf Absprunghöhe mit Matten unten drunter. Diese Bouldertherapie war selbstredend manualisiert und beinhaltete neben Boulderübungen auch Elemente aus der Achtsamkeitslehre. Diese Studie betreute und realisierte ich am Standort Weyarn im dortigen Kletterzentrum.
Die Erkenntnisse aus diesem Konzept und diesem Erfolg möchte ich nun auf andere Bergsportarten, zum Beispiel Klettersteig gehen, Wandern, Mountainbiken, etc., übertragen und eine Handlungsempfehlung aussprechen. Bestimmt hat der oder die ein oder andere, selbst ohne psychische Erkrankung, eine ähnliche Erfahrung gemacht: Nach einem stressigen Arbeitstag die Jeans gegen die Sporthose getauscht, den Laptop gegen den Rucksack – und los. Die Bewegung und ein bisschen frische Luft können schon mal ein „kleines Wunder“ bewirken, den Kopf frei pusten und die Stimmung heben.

Die Berge machen uns demütig, sind Spielplatz und Lehrmeister zugleich. Zeigen uns Weite und lassen uns vom Alltag im Tal Abstand gewinnen. Genauso helfen sie uns zu erkennen, was wir bereits geschafft haben und wo unsere Grenzen liegen.
Ein „zu viel“ kann uns genauso wie ein „zu wenig“ überraschend leicht aus der Bahn werfen. Mal merken wir das mehr körperlich, mal mehr mental. Das ist nicht ungewöhnlich.
Philipp Bachhuber Pixabay Pixabay

SELBST MASSNAHMEN SETZEN

Im Folgenden kommen meine persönlichen Tipps, die aus den Erfahrungen meiner Arbeit resultieren:
 
  1. Emotionale Schwere, Melancholie, depressive Verstimmungen – alles überträgt sich auf den Körper. Wenn du dich schwer, antriebs- und kraftlos fühlst, oder einfach gar nichts mehr fühlt, kannst du durch Bergsport wieder spüren, welche Kraft eigentlich in dir steckt. Du fühlst Deinen Körper wieder. Im Zuge dessen darf sich in den Tagen darauf gerne ein leichter Muskelkater einstellen. Aber: Lass es langsam angehen und überfordere dich nicht gleich zu Beginn! 
 
  1. Gemeinsam stark. Sich zu öffnen, fällt oftmals schwer, aber es lohnt sich. Suche dir Gleichgesinnte, mit denen du die Freude an der körperlichen Bewegung teilen kannst. Ihr könnt euch gegenseitig motivieren, gemeinsam den Schweinehund überwinden und ebenso Probleme besprechen. Damit meine ich nicht über unsere „First-world-problems“ jammern, sondern offen und authentisch Sorgen und Ängste teilen. Du wirst sehr schnell merken, dass du mit deinen Gedanken nicht allein bist und Verständnis findest. Manche haben schon Ähnliches erlebt und können vielleicht sogar einen wertvollen Tipp geben. 
 
  1. Die kuschelige Komfortzone verlassen ist immer eine Überwindung. Doch sie schrumpft auch, wenn wir sie nicht ab und an verlassen und über den Tellerrand schauen. Weiterentwicklung findet in der Lernzone statt. Diese fühlt sich manchmal etwas unbequem an und du darfst dabei auch skeptisch und vorsichtig bleiben. Such dir Ziele oder probiere Dinge, die du noch nie oder noch nicht so häufig gemacht hast. Fordere dich. Lerne etwas Neues. Trau dich. 
 
  1. Dieses sich-Neues-trauen führt zu einem neuen Selbstwirksamkeitsgefühl. Du wirst merken, dass du trotz deinem Tief dein Leben selbst in die Hand nehmen kannst und etwas bewirken kannst. Du kannst etwas verändern. Dein Handeln hat eine Wirkung. Auf Aktion folgt Reaktion. Wer regelmäßig beispielweise Klettern geht, hat bestimmt schon festgestellt, wie schnell er sich (vor allem zu Beginn) verbessert. Du kreierst Erfolgserlebnisse und das motiviert ungemein. 
 
  1. Konzentration und Achtsamkeit. Wir machen uns so oft so viele Gedanken um das was war und um das was sein wird. Anstatt mal „nur“ im Hier und Jetzt zu sein. Das hat nichts mit Esoterik zu tun. Manchen hilft natürlich meditieren sehr gut. Forscher schreiben dem Meditieren mittlerweile viele positive Auswirkungen auf die Kognition zu. Aber noch leichter, als angestrengt an nichts zu denken, ist, sich beim Sport genauso zu fordern, dass du automatisch mit deinen Gedanken im Moment bleibst. Such´ dir ein Schwierigkeitslevel, das deine Konzentration so sehr beansprucht, dass du gar keine Zeit und keinen Gedanken an etwas Anderes verschwenden kannst. Damit pausiert das Gedankenkarussell wie von alleine und du übst dich in achtsamer Wahrnehmung.

Kategorie:    ALPINFORUM

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Fotos © Philipp Bachhuber, Pixabay - Hans Braxmaier